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Kurdish-European Society

Under Construction – hier wird gerade noch gebaut...

Verarbeiten, Vergeben und Versöhnen


Über das Projekt

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Mit dem Projekt möchte KES drei langfristige Prozesse anstoßen:

  • Abneigung, Vorurteile, Diskriminierung und Unrecht sowie Schuldfragen zu verarbeiten und aufzuarbeiten,

  • kurdisch-muslimische (Mit-)Schuld am ezidischen Leid anzuerkennen – und der ezidischen Seite das Vergeben zu ermöglichen,

  • die beiden Glaubensgemeinschaften zu versöhnen und gemeinsam Wunden zu heilen.

Dabei engagieren wir uns für eine Versöhnung in Deutschland ebenso wie den Herkunftsgebieten und für eine bessere Teilhabe und Sichtbarkeit dieser Gruppen in unserer Gesellschaft.

Ziel innerhalb der Projektlaufzeit:

Möglichst viele der relevanten Akteur*innen bekennen sich ehrlich und eindeutig zu dieser Mission. Dieses Bekenntnis wird mit der Unterschrift unserer „Charta der Versöhnung zwischen Muslim:innen und Ezid:innen in Kurdistan, Europa und der Welt“ öffentlich festgehalten.Dafür bringt das Organisationsteam seit dem Herbst 2022 Gäste aus den betroffenen Communities und aus der deutschen Mehrheitsgesellschaft zum Austausch und zur Diskussion zusammen. Auf Basis diser Diskussionen und in Absprache mit den Teilnehmer:innen wurde der Text der Charta erarbeitet, die die Basis für einen weiterführenden, andauernden Prozess der Aussöhnung darstellen soll.

»Aktuelles aus dem Projekt»

Finanzierung

Das Projekt ist finanziert durch das Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integra- tion des Landes Nordrhein-Westfalen (MfKJFGFI), mit Mitteln aus dem Förderprogramm „Zivilgesellschaftliches Engagement muslimischer und alevitischer Communities in NRW – sichtbar machen, empowern, vernetzen“.

Hintergrund

Kurdische Gemeinschaften, in Ihrer Masse häufig als das größte Staatenlos Volk der Welt bezeichnet, leiden in ihren Herkunftsgebieten, also vor allem den vier Teilen Kurdistans auf türkischem, syrischem, irakischem und iranischem Staatgesbiet, unter systemischer Ausgrenzung und Unterdrückung.

Als so genannte mehrfache Minderheit, also eine sich sowohl durch ihre Sprache und Kulturelle als auch durch ihre Religion von der Mehrheit ihrer Umgebung abhebende Gruppe, trifft dies seit Jahrhunderten in besonderem Maße auf Ezid:innen zu. Während die Glaubengemeinschaft einen Großteil ihrer Kultur mit muslimischen Kurd:innen teilt, distanzieren sich einzelne Personen und Gemeinschaften vom Kurd:innentum – eine Entwicklung, die vielfältige Ursachen hat.

Auf beiden Seiten engagieren sich Vereine und Aktivist:innen für eine Aussöhnung. Zugleich sind aber auch heute Teile der kurdisch-muslimischen Bevölkerung nicht bereit, ihre kollektive Mitschuld am historischen – und weiter andauernden – Leid der Ezid:innen oder die Aktualität und Relevanz der Problematik anzuerkennen. Mancherorts wird in Moscheen sogar weiterhin gegen die vermeintlichen T*sanbeter gehetzt. Dies steht einer ernsthaften Aussöhnung zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen und einer sicheren, nachhaltigen Vorbeugung weiterer Gewaltexzesse im Weg.

„Es gibt eine Ezidische Frage!“

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Schriftsteller Hosheng Ossi, brachte es bei unserer Projektsitzung im April auf den Punkt: nicht alle Ezid:innen möchen Teil einer Gemeinschaft sein, in der sie systematisch ausgegrenzt werden! Auch wenn die Mehrheit der Ezid:innen sich selbst weiterhin als kurdisch beschreibt, gibt es doch nicht wenige, die für eine Anerkennung als Zugehörige zu einem eigenen, von dem der Kurd:innen separaten Volk kämpfen.

 

Die Kurdish-European Society ist der Ansicht, dass alle Menschen, unabhängig ihrer Herkunft und ihrer Weltanschauung, ein Anrecht auf Selbstbestimmung und kulturelle und religiöse Identität haben. Nur wer dies anerkennt, kann auf ein fortwährend gerechtes und friedliches und diskriminierungsfreies Zusammenleben hoffen.

 

Die Entfremdung zwischen den Glaubensgruppen ist selbst zwischen Gemeinden und Organisationen in Deutschland zu beobachten. Allerdings ist sie an unterschiedlichden Orten unterschiedlich stark ausgeprägt, von Ezid:innen die sich als eigenes Volk begreifen, bis hin zu Gemeinschaften in denen religiöse Unterschiede zwischen Islam und Ezidentum zwar wahrgenommen werden, sich aber kaum auf das friedliche Zusammenleben und das gemeinsame Selbstverständnis als Kurdisches Volk auswirken.

Nicht zuletzt die furchtbaren Verbrechen der islamistischen Terrorgruppe DAESH im Shingal/Sinjar ab 2014 (die auch der Bundestag unlängst als Völkermord anerkannt hat) und des von vielen Ezid:innen als Verrat wahrgenommenen Rückzugs der Peschmerganaus der Region, haben weiter zu dieser Entfremdung beigetragen.

Die Wurzeln des Problems liegen allerdings nach gängiger Annahme deutlich länger in der Vergangenheit, etwa in der Mitschuld kurdisch-muslimischer Führer an Unterdrückung und Ermordung von Ezid:innen unter der Herrschaft der osmanischen Sultane.

 

Die „Charta der Versöhnung“

Um Hass und Entfremdung zwischen den Religionen und Kulturen entgegenzuwirken und Solidarität und Resilienz gegenüber Extremismen aller Art zu fördern und damit Katastrophen wie den Genozid von 2014 zu verhindern haben wir im Projekt im Austausch mit den Teilnehmer:innen der Veranstaltungen die „Charta der Versöhnung zwischen Muslim:innen und Ezid:innen in Kurdistan, Europa und der Welt“ erarbeitet.

Der aktuelle Stand der Charta ist deutscher, englischer und kurdischer/ezidischer Sprache veröffentlicht

Unterschrieben werden soll die Charta im Rahmen einer festlichen Veranstaltung zum Abschluss des Projekts am 3. Dezember in der Nähe von Köln, geladen sind politische und religiöse Würdenträger aus dem In- und Ausland.

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»Zum Chartaentwurf»

 
 
 
 



12. Dezember 2023

Bericht der VVV-Eröffnungsveranstaltung

Am 11. Dezember 2022 kamen Vertreter:innen kurdischer Parteien und der in Deutschland wohnhaften kurdisch-muslimischen und ezidischen Zivilgesellschaft zu einem Workshop der Kurdish European Society im Flüchtlingszentrum Fliehkraft in Köln-Nippes zusammen. Die Veranstaltung wurde im Rahmen des von der Nordrhein-Westfälischen Landesregierung finanzierten Projekts „Verarbeiten, Vergeben und Versöhnen“ (VVV) organisiert. Unter der Überschrift „Eziden und Muslime: Aus Gestern lernen, für Morgen denken“ war es das erklärte Ziel des Workshops im gemeinsamen Diskurs die Aufgaben auf dem Weg zur Versöhnung der beiden kulturellen Gemeinschaften abzustecken, die VVV über das Jahr 2023 bearbeiten soll.

Als Gastredner waren mit dem in Deutschland wohnhaften armenisch-ezidischen Poeten Dr. Eskere Boyik (Eskerê Boyîk) und dem aus Syrien stammenden norwegischen Islamgelehrten Dr. Sheikh Murshid al Khaznawi (Murşid Meişûq Xeznewî) zwei international bekannte Intellektuelle geladen, die sich, trotz ihrer unterschiedlichen kulturellen Hintergründe beide als geleichermaßen als kurdische Patrioten verstehen. Aus der ezidischen respektive der muslimischen Perspektive sollten die beiden Gäste jeweils ihre Sicht auf den in den kurdischen Gebieten seit Jahrhunderten ausgefochtenen Konflikt zwischen den beiden Religionen darlegen. Auch der internationale kurdische Nachrichtensender Rûdaw war anwesend und übertrug unter anderem Interviews mit den Rednern und Projektleiter Mehmûd Kalo.

Nach begrüßenden Worten durch die beiden Projektleiter Mehmûd Kalo und Arne L. Gellrich und einem musikalischen Beitrag von Osman Derwish wurde mit Hilfe eines Simultandolmetschers zweisprachig auf Kurmandschi und Deutsch abgehaltene Veranstaltung mit einem Redebeitrag von Arne Gellrich eröffnet. Ausgehende von den titelgebenden Begriffen „Verarbeiten“, „Vergeben“ und „Versöhnen“ beschrieb der Sozialwissenschaftler dabei modellhaft den angestrebten Versöhnungsprozess zwischen den beiden Bevölkerungsgruppen. Um Konzepte von Schuld, Vergebung und Sühne zu illustrieren und zog er dabei Parallelen zur deutschen Geschichte und zur eigenen Familienbiographie.

Auf dieses Impulsreferat folgte der ein Beitrag von Dr. Eskere Boyik. Dr. Boyik bezog sich darin stark auf die lange Geschichte des Ezidentums in Konflikt und Austausch mit seinen vor allem muslimischen Nachbarn. Als eine der Urreligionen des kurdischen Volkes steht das Ezidentum, Boyiks Darstellung zufolge, für die Verlorene Einheit Kurdistans. Dieser Einheitsverlust sei vor allem durch die historische Verdrängung dieser ursprünglichen kurdischen Kultur durch andere Religionen und vor allem den arabischen Islam erfolgt. Die Religion sei es zugleich auch, so Boyik, die bis heute die Einheit und nationalstaatliche Souveränität Kurdistans verhindere; dies zeige sich auch an den zahlreichen genozidalen Feldzügen gegen Ezid:innen, an denen, so Boyik weiter, auch kurdische Muslim:innen teilgenommen haben (auch, wenn die große Mehrheit der muslimischen Kurd:nnen den Eziden stets zur Seite gestanden habe). Nur durch einen gemeinsamen kurdischen Staat könne aber eine nachhaltig sichere Grundlage für die friedliche Versöhnung der verschiedenen kurdischen Gemeinschaften gewährleistet werden.

Diesen Ausführungen widersprach Dr. Sheikh Murshid al Khaznawi in seinem anschließenden Vortrag in zentralen Punkten. Alle Religionen, so al Khaznawi, böten Argumente für Gewalt und auch offensiven bewaffneten Konflikt, ganz gleich, wie friedlich sie sich gäben. Nicht die Religion trage die Schuld für die kurdische Uneinigkeit, sondern skrupellose politische Kräfte, die Gläubige manipulierten und religiöse Argumentationen zur Durchsetzung eigener Interessen nutzten. Dies sei historisch etwa unter der Herrschaft Saddam Husseins der Fall gewesen, geschehe aber auch heute noch in Südkurdistan (gemeint ist die autonome Region Kurdistan im Nordirak). Der Islam habe zwar seine Wurzeln auf der arabischen Halbinsel, sei aber keinesfalls eine arabische Religion. Vielmehr habe jedes islamische Volk die Religion an seine jeweilige Kultur angepasst, dies gelte für die arabischen Länder ebenso wie für die Türkei. Ein genuin kurdischer Islam sollte deshalb möglich sein und stünde einer kurdischen Einheit nicht im Weg.

Anders als Dr. Boyik, der bewusst einen weiten geschichtlichen Horizont gewählt hatte, bezog sich al Khaznawi vor allem auf die jüngere Vergangenheit und hob den 2014 durch die Terrororganisation Daesch (IS/DAIŞ/Dā͑iš) verübten Genozid an der ezidischen Bevölkerung hervor. Hier betonte er klar seinen Dissenz sowohl zu den Aussagen Eskere Boyiks, als auch zu Punkten aus Arne Gellrichs Vortrag. Sowohl aus der (historisch hergeleiteten) Kritik Dr. Boyiks am Islam als auch aus dem (abstrakten) Beispiel der Verbrechen aus der deutschen Geschichte, die Gellrich exemplarisch erwähnt hatte, ließe sich die Unterstellung einer Schuld seitens der kurdischen muslimischen Gemeinschaft ableiten. Auf keinen Fall, verdeutliche al Khaznawi, könne ein:e einzelne:r Muslim:in diese Schuld anerkennen, bloß weil die Vergehen von Menschen verübt wurden, die sich ebenfalls als Muslim:innen verstünden. Er distanzierte sich zudem ausdrücklich von jenen muslimischen Geistlichen, die Verbrechen gegen Eziden als halal erklärt haben. Wer solche Argumentationen gebrauche, unterstrich er, habe in seinen Augen jegliches Anrecht auf den Status eines geistlichen verloren.

Trotz dieser inhaltlich durchaus konfliktreichen Positionierung betonte der Imam mehrfach die Zusammengehörigkeit der muslimischen Kurd:innen und der Ezid:innen. Der Vernichtungsfeldzug des Daesch, machte er deutlich, richte sich gleichermaßen gegen alle Kurd:innen, unabhängig von ihrem Glauben. Das historische Unrecht, dass der ezidischen Glaubensgemeinschaft wiederfahren sei leugne er nicht, so betonte er. Zugleich gab er aber auch klar zu verstehen, dass er auch dieses vorrangig als anti-kurdisches Verbrechen auffasst.

Nach einer Mittagpause schloss sich eine offene Diskussion mit dem Plenum an. Schnell kristallisierten sich dabei die einander gegenüberstehenden Positionen der beiden Gastrednern weiter aus: Zum einen beriefen sich ezidische Redner:innen wiederholt auf die lange Geschichte von, aus der ezidischen Perspektive, 74 Genoziden gegen die Gemeinschaft, zum anderen betonten Sheikh al Khaznawi und andere muslimische Teilnehmer die Gemeinsamkeiten der Bevölkerungsgruppen und den 2014 durch den Daesch verübten Genozid als gemeinsames Trauma und verbindendes Element, an dem kurdische Muslim:innen und der Islam als Religion unschuldig seien.

Jedoch sollte hier nicht der Eindruck entstehen, als stünden sich mit Muslim:innen und Ezid:innen zwei homogene und mit einander tief verfeindete Lager gegenüber. Beide Gastredner genießen ein hohes Ansehen unter den Teilnehmer:innen, das durch inhaltliche Differenzen nicht beeinträchtigt ist. Zudem äußerten sich auch mehrere Teilnehmende durchaus kritisch gegenüber der jeweils eigenen Gruppe, was auch durch die weltanschauliche Diversität der geladenen Gäste bedingt ist. Zu Wort kamen unter anderem Vertreter der Kurdischen Einheitspartei (PYKS), der Demokratische Partei Kurdistan-Syrien (PDKS), der Khoibon Association sowie des Ezidischen Rats in Syrien, sowie Akademiker:innen und Vertreter:innen der Zivilgesellschaft, etwa der Kurdischen Schriftsteller- und Journalistengewerkschaft und der Deutschen Internationalen Organisation für Entwicklung und Frieden (DIOEF/GIODP).

Große Einigkeit herrschte hinsichtlich des vom Imam vorgebrachten Plädoyers für eine laizistische Ordnung, in der die Religion nicht mehr für politische Interessen missbraucht werden könne. Dies hob auch die ezidische Autorin Leyla Qasim hervor: Ein großes Problem im Ezidentum sei, so Qasim, dass es anders als im Islam keine verbindlichen heiligen Texte gebe; eine Kanonisierung durch Gelehrte wie Eskere Boyik sei notwendig um eine Instrumentalisierung der Religion, wie sie Sheikh Murshid im Islam beklage, auch im Ezidentum zu vermeiden. Das traditionelle Kastensystem und die weiterhin verbreitete Kultur der Endogamie, so führte sie weiter aus, haben in einem solchen Kanon keinen Platz. Dr. Boyik pflichtete ihr bei: Die heiligen Texte des Ezidentums seien seiner Zeit durch (den von Muslim:innen und Ezid:innen gleichermaßen verehrten) Sheikh Adi (Şêx Adî/ ͑Adī ibn Musāfir 1073 – 1078 u.Z.) verfälscht worden. Es brauche heutzutage eine Instanz zur Bereinigung der Texte. Die Gelehrtenkommission, die im Irakischen Kurdistan bereits dazu arbeite sei ein Anfang – sinnvoller wäre aber ein Kongress von Ezid:innen aus aller Welt, bestenfalls als permanente Einrichtung. Ein vereinter kurdischer Staat könne als Garant eines solchen Prozesses fungieren.

Auch wenn man sich darüber hinaus zwar nicht auf ein gemeinsames Fazit einigen konnte, herrschte doch eine insgesamt freundliche, gar freundschaftliche Atmosphäre vor. Das Beharren der Lager auf ihren jeweiligen Positionen und ihr gleichzeitiger anscheinender Unwillen, die Konfliktpunkte tiefergehend zu diskutieren, wurde in einzelnen Redebeiträgen – und vereinzelt durchaus auch scharf – kritisiert. Dennoch war sich im am Ende die Große Mehrheit einig, dass schon das Zusammenkommen und der Austausch im Rahmen des Workshops als großer Erfolg zu werten sei.

Es liegt nun am VVV-Projektteam, ein Fazit aus dem Diskutierten zu ziehen und daraus abgeleitet einen Arbeitsplan für den weiteren Verlauf des Projektes zu erstellen. Eine besondere Herausforderung dürfte es dabei sein, den Konflikt auf die in Deutschland lebenden Diasporagruppen herunterzubrechen. Für das Jahr 2023 hat Projektteam weitere sechs Veranstaltung geplant und hofft damit, im Rahmen seines ministeriellen Auftrags im Dienst der Aussöhnung und der verbesserten gesellschaftlichen Teilhabe kurdischer Gruppen in Deutschland einen messbaren Fortschritt zu bewirken.


Kurdish-European Society 

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